Nachdem man erkannt hat, dass Vitamin E antioxidativ wirkt, kam die Vermutung auf, es könnte zur Vorbeugung verschiedener chronischen Erkrankungen beitragen. Mehrere Studien kamen zu dem Ergebnis, dass sich das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen durch eine erhöhte Vitamin-E-Zufuhr deutlich senken lässt. (1,2) Daraufhin versuchten Forscher herauszufinden, ob das Vitamin auch die Krebsprävention unterstützen kann – in dieser Frage kam man jedoch zu sehr gemischten und widersprüchlichen Ergebnissen. Das mag auf den ersten Blick merkwürdig erscheinen, doch bei genauerer Betrachtung der Studien wird vieles klarer.
Vitamin E ist nützlich, doch ist eine Supplementierung schädlich?
Diese widersprüchlichen Ergebnisse werden in zwei Studien gut dargestellt: SELECT (3, 4) und ATBC. (5,6)
In der SELECT-Studie wurde die Wirkung von Vitamin E und Selen in Zusammenhang mit Prostatakrebs untersucht. Es wurden 400 Internationale Einheiten (IE) Alpha-Tocopherol angewandt, was einem Zwanzigfachen der empfohlenen Tagesdosis entspricht und bedeutend mehr ist, als über natürliche Lebensmittel aufgenommen werden könnte.
In der ATBC-Studie wurden 50 mg Alpha-Tocopherol verabreicht, was 100 IE entspricht. Das kommt einer realistischen Einnahmemenge schon deutlich näher, ist aber immer noch eine höhere Zufuhr, als durch eine gesunde Ernährung möglich wäre.
Es ist wichtig zu betonen, dass in beiden Studien nahezu ausschließlich Alpha-Tocopherol verabreicht wurde, da die Forscher dieses als die alleinige Ursache für die antioxidative Wirkung von Vitamin E betrachteten. Daher enthielt das in den Studien eingenommene Vitamin E fast hundertmal so viel Alpha-Tocopherol, wie in einer gesunden Ernährung enthalten ist, während die anderen Tocopherole aber fast gar nicht vorhanden waren.
Überraschende Ergebnisse
In der SELECT-Studie kam man zu dem Ergebnis, dass die Supplementierung von Vitamin E das Risiko einer Prostatakrebserkrankung um 17 % steigerte, was in der Gruppe, die auch Selen einnahm, nicht zu beobachten war. Es ist wichtig zu betonen, dass bei den meisten betroffenen Probanden mittels eines PSA-Tests Prostatakrebs im frühen Stadium diagnostiziert wurde – allerdings schreiten Prostatakrebserkrankungen, die mit dieser Art von Test diagnostiziert werden, oft nicht weiter voran.
In der an männlichen Rauchern durchgeführten ATBC-Studie senkte die Einnahme von Vitamin E das Risiko der Entstehung von Prostatakrebs um 32 % und das Risiko eines tödlichen Verlaufs um 41 %. (6)
Für diese widersprüchlichen Ergebnisse kann es mehrere Gründe geben. Es ist möglich, dass Vitamin E bei gesteigerter oxidativer Belastung durch Rauchen wirksamer ist. Genauso ist auch vorstellbar, dass Vitamin E in einer realistischen Dosis zwar antioxidativ wirkt, in zu hoher Dosis jedoch den oxidativen Stress erhöht, ähnlich wie andere Antioxidantien. Diese Theorie wird von einem weiteren untersuchten Nährstoff, Beta-Carotin, bestätigt. Dieses verfügt ebenfalls über eine Zahl positiver Effekte, aber nur dann, wenn es über die Ernährung aufgenommen wird. Eine zu hoch dosierte Einnahme von synthetischem Beta-Carotin führte in derselben Studie zu einer Steigerung des Lungenkrebsrisikos.
Weitere interessante Informationen
Bei der Analyse der Daten der ATBC-Studie 30 Jahre nach deren Beginn stellte sich heraus, dass mit steigendem Alpha-Tocopherol-Spiegel das Risiko der meisten chronischen Erkrankungen proportional zurückging. (7) Allerdings hatte eine Supplementierung von Alpha-Tocopherol in den meisten Studien keinen bedeutenden Effekt auf diese Krankheiten.
Der Fall von Gamma-Tocopherol ist genauso interessant: In Tiermodellen und Zellkulturen wurden bereits zahlreiche positive, entzündungshemmende und gegen Krebs wirkende Effekte nachgewiesen, doch eine relativ neue Studie kam zu dem überraschenden Ergebnis, dass bei Probanden mit höherem Gamma-Tocopherol-Spiegel die Häufigkeit von Erkrankungen und Todesfällen deutlich anstieg. (8)
Wodurch sind diese widersprüchlichen Ergebnisse zu erklären?
Dass die Supplementierung von Vitamin E in den meisten Studien keine positive Wirkung zeigte, liegt vermutlich daran, dass es in unnatürlich hohen Dosen eingesetzt wurde. Noch dazu erfolgte die Einnahme in Form von synthetischem dl-Alpha-Tocopherol statt in einer Mischform, wie es in natürlichen Lebensmitteln vorkommt. Eine zu hohe Dosis Alpha-Tocopherol senkt den Spiegel der anderen Tocopherole und kippt somit ihr Verhältnis im Organismus. (9)
Im Fall der Studie, die ergab, dass bei einem erhöhten Gamma-Tocopherol-Spiegel auch das Todesrisiko ansteigt, wird davon ausgegangen, dass der Gamma-Tocopherol-Spiegel mit dem Entzündungsgeschehen weiter ansteigt. Das heißt, dass Gamma-Tocopherol selbst zwar tatsächlich entzündungshemmend, antioxidativ und schützend wirkt, sich bei schweren Erkrankungen jedoch sein Spiegel erhöht.
Die Quelle zählt
Es ist außerdem vorstellbar, dass das von den untersuchten Amerikanern eingenommene Gamma-Tocopherol eher schädlich als nützlich war, weil es vorwiegend aus Sojaöl und sonstigen pflanzlichen Ölen mit hohem Omega-6-Gehalt stammte. Denn obwohl Vitamin E an sich positiv wirkt, ist es wichtig, dessen Zufuhr über Quellen zu decken, die nicht zu viele mehrfach ungesättigte Omega-6- oder Omega-3-Fettsäuren enthalten, da Vitamin E vor allem vor der durch diese Fettsäuren verursachten Lipidperoxidation schützt. Im Zuge der Lipidperoxidation reagieren die Doppelbindungen der ungesättigten Fettsäuren mit Sauerstoff, was zur Schädigung der Zellen im Organismus führt und außerdem eine Kettenreaktion auslöst, durch die noch mehr freie Radikale entstehen. Vitamin E schützt hauptsächlich vor diesem Prozess und die meisten seiner positiven Wirkungen sind hierdurch zu erklären.
Somit sollte Vitamin E am besten in natürlicher Form und realistischer Dosis supplementiert werden, über Präparate mit gemischten Tocopherolen und Tocotrienolen, die keine großen Mengen mehrfach ungesättigter Fettsäuren enthalten. Zusätzlich ist Vitamin E in Lebensmitteln wie Nüssen und Samen zu finden, über die der Vitamin E Bedarf ebenfalls gedeckt werden kann. Sollte ein Vitamin E Mangel vorliegen, ist es aber einfacher, den Tagesbedarf mit Hilfe von entsprechenden Präparaten zu decken.